MENU

Wostl oder die Reinkarnation eines Lausbuben

Der „Wostl“ sollte unser erster Jagdhund werden. Er war eine Schwarzzucht einer schwarz-roten Tirolerbracke, was denn auch sonst, und mein Bruder und ich mussten zusammenlegen, um die 500 Schilling Ankaufskosten berappen zu können. Hätte der Wostl Papiere gehabt, er wäre vom Aussehen her durchaus als Blaublütiger durchgegangen. Hätte er Besitzer gehabt, welche eine Ahnung von der Führung eines Jagdhundes gehabt hätten, wäre er wahrscheinlich auch ein Jagdhund geworden.  Aber aus dem Wostl wurde nicht einmal ein Hund, nein, er wurde ein selbständiges Wesen, er war die Reinkarnation eines Lausbuben.

Aufgewachsen im Kälberstall mit allen erdenklichen Freiheiten entwickelte sich Wostl zu einem kräftigen, gesunden Wesen, das wirklich nur Blödsinn im Kopf hatte. Sein Lebensziel war es, die Menschen zu necken und danach derart treuherzig anzusehen, dass ihm auch wirklich niemand böse sein konnte. Jeder in der Umgebung kannte ihn aufgrund seiner täglichen Rundgänge und wusste, wenn der Wostl kommt, muss alles versteckt werden. Er gehörte nicht direkt jemandem, er gehorchte eigentlich niemandem, er tat was er wollte und er war gutmütig und schlau.

Sehr früh schon merkte er, dass der alte Nachbarbauer hinter dem Stall täglich zur gleichen Zeit  seine Milchkannen mit einer Bürste reinigte. Jeden Tag, kurz bevor der Hansl zu den Milchkannen ging, nahm Wostl die Bürste in den Fang und setzte sich auf die Wiese. Wenn der Hansl auf ihn zuging, trug er die Bürste wieder einige Meter weiter. Erst am Wiesenabbruch, nach ca 100m legte er ihm das Werkzeug hin. Den Hansl hörte man jeden Tag rufen: „Iats gib mir die Birschte, du Sauviech“. Dieses Spiel trieb der Wostl mit dem armen Hansl so lange, bis der Hansl eingesehen hatte, dass er die Bürste im Stall verstecken musste. Er war aber nie wirklich grob mit unserem Wostl und ich glaube, irgendwie mochte er ihn.

Wir wohnten in einer Gegend, in der niemand eine Türe versperren brauchte, und es wurde auch nicht getan, bis der Wostl gelernt hatte, nicht versperrte Türen zu öffnen. Aus den Häusern verschwanden ganze Kuchen, Würste und alles was an Delikatessen in den Speiseln (Speisekammern) der Bauernhäuser zu finden war. Überführt wurde er der Tat meist nur aufgrund von Zeugenaussagen. Man sah ihn, wie er seine Beute in den nahe liegenden Wald schleppte und dort bis zum Verzehr versteckte. Wurde er direkt erwischt, sah er dich an und blickte dir in die Seele. Ich glaube, es hat ihn nie jemand geschlagen und er seinerseits liebte die Menschen.

Ob es mit seinem Erwachsenwerden zusammenhing, oder auch nur ein Zufall war, einmal bekamen wir gegen Mitternacht einen Anruf von der Gendarmerie. Wir sollten unseren Hund in der 6 km entfernten Diskothek abholen. Das machten wir natürlich sofort, es bestand ja die Gefahr, dass er verdorben würde.

Im Spätherbst des gleichen Jahres verstarb unser Nachbarbauer Hansl. Bei uns war es immer noch so üblich, dass die Verstorbenen zuhause aufgebahrt wurden und der Leichenzug vom Heim bis zum Friedhof ging, begleitet von den Angehörigen und Bekannten. So ein Trauerzug ist etwas Heiliges, zuerst geht der Kreuzträger, meist ein Schülerbub, dann kommt der Sarg  und die Totenträger, danach die nahen Angehörigen und dahinter alle anderen. Dabei wird der Rosenkranz gebetet und alles läuft geordnet und ruhig ab.

Dieser Leichenzug war anders. Zuerst ging in der Mitte der Wostl, dann kam der Kreuzträger und danach die übliche Formation. Ich schämte mich in den Boden hinein und versuchte, das nach außen hin doch als Hund wirkende Wesen von den Trauernden zu entfernen. Wostl wehrte sich derart, dass ich ihn schließlich vorausgehen ließ, um eine noch größer Blamage zu verhindern. Er marschierte den gesamten Weg bis zum Friedhof im Gleichschritt vor dem Sarg und während der Andacht in der Kirche, stand er wie ein tief trauernder Mensch am Hintereingang der Kirchentüre. Damit hatte er sich zum Dorfgespräch gemacht, aber nicht einmal negativ.  

Unser Wostl kam eines Tages nicht mehr nach Hause zurück. Wie ich vernommen hatte, hat ihn jemand aus der Gegend erschossen. Das ist mehr als 25 Jahre her und ich möchte heute noch nicht wissen, wer ihn getötet hat, ich würde es ihm nicht verzeihen. Wenn du es warst, der ihn getötet hat, dann sollst du wissen, du hast keinen Hund erschossen, du bist ein Mörder. Wostl, du warst ein Taugenichts, ein Tunichtgut und wir haben dich alle geliebt.