MENU
Erinnerung an einen Krieg "Du sollst nicht töten"

Buch "Ein Zillertaler Bergbauer"

Vorwort

Diese Kurzbiographie schildert die Erinnerungen eines Zillertaler Bergbauern an den zweiten Weltkrieg. Es sind die Erinnerungen meines Vaters, die ich mit und für ihn geschrieben habe. Er war einer von tausenden, streng katholisch erzogenen jungen Männern, die als „ halbe Kinder“ mehr oder weniger direkt aus dem Kuhstall an die Front kamen, um zu töten. Jene, die überlebten und zumeist schwer verwundet zurückkamen, bekamen ihr Leben lang nie die Möglichkeit einer psychischen Aufarbeitung. So lebte der Großteil von ihnen ein Leben  der Verdrängung. Spätestens am Lebensabend wurde aber jeder von ihnen von den traumatischen Erlebnissen dieses schrecklichen Krieges wieder eingeholt. Dieses  Schriftwerk bietet einen ehrlichen Einblick in ein Leben mit dem Krieg und der Tatsache, dass der Krieg für jene die dabei waren, nicht 1945 zu Ende war, sondern sie ein Leben lang begleitet. 

Wenn es Abend wird, betrachtet der Arbeiter sein Tagwerk,
wenn es gelungen ist, wird er zufrieden schlafen,
wenn er glaubt, es falsch gemacht zu haben,
betet er um einen neuen Tag.“

W.B

"Anfang"

Ich bin der Hansl, und ich war auch schon als kleiner Bub der „Hansl“, ich war nie der Hans oder der Hansi. Das ist eigentlich komisch, weil „Hansl“ eigentlich nur die Erwachsenenform von Johann ist. Ich habe fünf Brüder und 4 Schwestern, ich wurde ein Jahr nach dem Siegfried geboren, er war der Älteste von uns Geschwistern. Der Siegfried und ich waren beide schon an der russischen Front, als unsere jüngste Schwester, Regal, geboren wurde. Daraus kann man schließen, dass zuhause das Leben schon in jeder Beziehung weitergegangen ist, während wir versuchten, unsere Heimat nach Osten auszudehnen. Ja, manchmal muss man halt auch ein wenig zynisch sein. 

Unser Zuhause, das waren eigentlich zwei Bergbauernhöfe, weil mein Vater zwei Höfe geerbt hatte, nicht zuletzt deshalb, weil viele seiner Geschwister während des ersten Weltkrieges zu Tode gekommen waren. Zwei Bergbauernhöfe, das ist nicht viel, bei sechs Söhnen und vier Töchtern. Ich habe nicht viele Erinnerungen an meine Kindheit, vielleicht deshalb, weil sie von den vielen Schattenseiten meiner Jugend überdeckt wurden.

An die Schule kann ich mich schon noch erinnern. Wir hatten noch keine Hefte, wir haben noch auf diese Tafeln geschrieben. Diese Tafeln hatten viele Vorteile. Ich habe die Übungen nie richtig gemacht, habe einfach etwas hingeschrieben, und dann mit dem Hemdsärmel überwischt, so dass eine Kontrolle wohl nicht wirklich möglich war.  In Erinnerung blieb mir auch jener Tag,  als wir lernten, die Uhr abzulesen.  Nach eindringlichem Unterricht fragte mich der Lehrer: „Hansl, wie spät ist es?“,  frech wie ich war antwortete ich: „weil mich nicht wundert Herr Lehrer.“

Ansonsten verbrachte ich die Kindheit zumeist beim Arbeiten. Wer mehr leisten konnte, war höher im Ansehen, bei Vater und Mutter. Sehr gut kann ich mich auch noch daran erinnern, dass uns unsere Mutter immer zum Essen gerufen hat, wenn wir auf der Feldarbeit waren.  Es war irgendwie schön, wenn sie gerufen hat. Es war schön, ihre Stimme zu hören. Sie rief immer: „ Siegfried, oder Karl, oder Wilhelm, oder Seppl, oder Franz, aber meine Mutter rief nie meinen Namen, und ich weiß bis heute nicht warum? Ich hätte alles dafür gegeben, wenn sie nur einmal auch meinen Namen gerufen hätte.

"Heimat"

Wenn ein naturverbundener, in eine Bergwelt hinein geborener Mensch, der sich schon sicher war, seine Heimat nie mehr zu sehen, diese beschreiben soll, so sieht das so aus:

„In meiner Heimat, da blühen die Apfelbäume schöner als die Rosen im Paradies. In meiner Heimat, da berühren die Berge den Himmel, da weckt dich die Sonne, und der Wind treibt dich an. In meiner Heimat, da haben die Menschen Falten und Furchen, aus denen du ihr Leben ablesen kannst. In meiner Heimat, da sind die Tiere, die mit uns leben, Geschöpfe, die einen Namen haben. In meiner Heimat beginnt der Frühling dann, wenn der Kirschbaum blüht und der Auerhahn balzt. Der Sommer beginnt, wenn alles nach frischem Heu riecht. Der Herbst ist da, wenn das Röhren der Hirsche von den Karen über die Almböden hallt. Der Winter ist da, wenn der Gamsbock seinen Rivalen über die Grate durch den Pulverschnee in die Hochtäler jagt und der Mensch Zeit findet, sich etwas auszuruhen.

Das Wasser der Heimat ist Leben, es ist frisch, kalt, würzig, fällt es auf die heimatliche Erde, entsteht neues Leben. Es ist und war immer mein größter Wunsch, in Heimaterde begraben zu werden, damit werde ich für immer und ewig ein Teil dieser, meiner Heimat.